[Rezension] Wo ich wohne, ist der Mond ganz nah
Die koreanische Bestsellerautorin Cho Nam-Joo widmet sich in diesem Entwicklungsroman einem Frauenleben, das geprägt ist von Armut und der immensen Scham, mit Mitte 30 noch unverheiratet zu sein.
Details zum Buch:
Wo ich wohne, ist der Mond ganz nah
Cho Nam-Joo
Kiepenhauer & Witch Verlag
19,99 € E-Book / 23,00 € Paperback / 22,30 € Hörbuch
11. Januar 2024
288 Seiten
4 Sterne
Manis Familie lebt in einem der ärmsten Stadtteile von Seoul. Ihr Vater arbeitet in einem Imbiss und ihre Mutter ist erwerbslos. Als kleines Mädchen träumte Mani davon, rhythmische Sportgymnastin zu werden, inspiriert durch Fernsehbilder der Olympischen Spiele 1988 in Seoul. Als Kind fängt sie mit dem Turnen an, muss aber schnell einsehen, dass sie im Vergleich zu anderen kein Talent hat. Sie wird ein einfaches, unerfülltes Leben führen, auch geprägt von der Demütigung, mit Mitte dreißig noch keine eigene Familie zu haben.
Die Nachricht von der Stadtteilsanierung lässt die Immobilienpreise in die Höhe schießen, gleichzeitig erfährt Manis Familie zufällig, dass die Sanierung abgeblasen werden solle. Als ein Fremder ihr Haus kaufen will, ist die Familie uneins darüber, ob sie diesem gutmütigen Mann die Wahrheit sagen oder ihn täuschen soll. Ihr ganzes Leben lang haben sie sich an das Prinzip der Ehrlichkeit gehalten. Welche Entscheidung werden sie treffen, wenn sie vor dem größten Dilemma ihres Lebens stehen?
Der Schreibstil wirkt auf mich anfangs sehr blumig. Es war erwachsener und realer als ich es als vorwiegend Fantasy-Leserin gewohnt war. Das fand ich gar nicht mal so schlecht.
Die Protagonistin Mani, die wir überwiegend durch ihre frühen Erinnerungen begleiten, erzählt uns von einem Leben, das alles andere als komfortabel ist. Manis Träume sind groß, doch ihre Möglichkeiten begrenzt. Wir erleben die Gedanken der 9-jährigen Mani und die der Erwachsenen unverheirateten Mani, die viel Verantwortungen auf ihren Schultern trägt.
Oft habe ich mich noch nicht an das Genre des Gesellschaftsroman getraut, aber hier wurde ich neugierig hinter die Kulissen eines Lebens zu blicken, das anders als das ist das ich kenne. Es liest sich etwas wie ein Tagebuch, aber viel flüssiger. Die Autorin erzählt in einem nüchternen, ja fast schon resignierten Ton von den Lebensumständen. Es wird nichts ausgeschmückt und das regt etwas zum nachdenken an, wie unterschiedlich die Leben in einer Stadt wie Seoul sein können. Die Zwischentöne beim Lesen lassen einen als Leser*in selbst bestimmen, welche Gefühle dies in einem auslöst. Cho Nam-Joo beschreibt für mich ein Leben, das fernab vom Glanz der Großstadt ist, obwohl sie nur eine kurze Fahrt entfernt ist. Das Ende war eines das viel ungesagt und Fragen offen ließ. Doch eine hat mich die ganze Zeit nicht losgelassen: „Wieviele Manis es wohl im Jahr 2024 da draussen noch so gibt?“ und wie schwer es sein muss, diesen Kreislauf zu durchbrechen.